Vor vier Wochen war schon klar, dass auch wir in Deutschland nicht von Corona verschont bleiben werden. Jedoch haben wir uns das Ausmaß der Ausbreitung und die damit verbundenen Veränderungen nicht ausmalen können. Unbestimmte Sorgen lagen in der Luft, aber die Geschwindigkeit, die diese Pandemie bekommen hat, die sich täglich ändernden Informationen, die damit einhergehenden Entscheidungen konnte sich niemand vor einigen Wochen im Entferntesten ausmalen. Wir haben uns nicht vorstellen können, dass wir heute alle mehr oder weniger unter Quarantäne stehen, uns vernünftiger Weise selbst isolieren und direkte Kontakte auf ein Mindestmaß beschränken. Wir nehmen diese Einschränkungen auf uns, um unsere Mitmenschen und unsere gesellschaftlichen Systeme auf verschiedenen Ebenen zu schützen, Menschen, die gesundheitlich belastet sind, möglichst nicht mit dem Corona-Virus zu infizieren und um unser Gesundheitssystem – hoffentlich – vor einem Kollaps zu bewahren.
In diesem pandemischen Wirbel sind wir emotional gar nicht in der Lage, das Ausmaß der Veränderungen in dieser kurzen Zeit psychisch zu verarbeiten. Wir müssen auf der Handlungsebene mit den Auswirkungen umgehen, individuelle Entscheidungen treffen, gewohnte Routinen überdenken und uns neu strukturieren. Die Veränderungen ziehen sehr unterschiedliche Bewältigungsanforderungen nach sich:
- Statt morgens in den Betrieb oder ins Büro zu fahren – sitzen Menschen im Homeoffice. Kommunizieren mit Kollegen und Vorgesetzten ausschließlich online via Skype o.ä., per Mail oder Telefon. Ungewohnt für viele.
- Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten, sind durch hohe Arbeitsbelastung und der Sorge um die eigene Gesundheit belastet.
- Menschen, die in Einrichtungen arbeiten, fragen sich, wie die Versorgung und Betreuung aufrechterhalten werden kann, wenn Kollegen oder die Kinder, Jugendlichen und alten Menschen erkranken.
- Menschen, in den notwendigen Dienstleistungsbetrieben arbeiten, wie z.B. Supermärkte, Apotheken, Müllabfuhr, müssen ein Mindestmaß an Alltagsstruktur aufrechterhalten.
- Familien, die gewohnt waren, nur sehr begrenzte Zeit mit einander zu verbringen, sind seit kurzem 24 Stunden beieinander.
- Menschen, die ihren gewohnten Alltagsbeschäftigungen nicht mehr nachgehen können, geraten dadurch in psychische Krisen.
- Menschen, die auf Grund der Anordnungen keine Arbeit mehr haben und existentiellen Sorgen haben, wie lange sie und ihr Unternehmen ohne Einnahmen durchhalten können.
Wer braucht in solch einer Krise Beratung, Supervision, Coaching? Oberflächlich betrachtet: niemand. Das Nichtstun können, die viele Zeit ausfüllen müssen, ist anstrengend. Die Stresssituation der nötigen Neuorientierung lässt keine Zeit, innezuhalten, gibt keinen Raum zur Reflexion. Obwohl, tiefergehend betrachtet: genau das Innehalten entlastend, nützlich und sinnvoll ist.
Gerade jetzt einen geschützten Rahmen zu haben,
- um Sorgen und Ängste sortieren zu können,
- zu erleben, mit scheinbar irrationalen Gedanken und Gefühlen nicht allein dazu stehen,
- anstehende, wichtige Entscheidungen in Ruhe und mit einem Gegenüber prüfen zu können,
- sich ganz einfach entlasten zu können,
ist wichtiger denn je.
Wir haben noch etliche Wochen mit der Corona-Krise zu leben, um so wichtiger ist, sich dafür nicht nur physisch gut zu schützen, sondern auch psychisch gut für sich zu sorgen. Mit einem Bild gesagt: Wer eine anstrengende Bergbesteigung unternimmt, braucht gute Ausrüstung, Orientierung und Pausen.