Unbewusstes leitet uns

Gerade psychoanalytisch orientierte Supervision muss sich darüber im Klaren sein, dass Unbewusstes wirkt. Aber was ist das „Unbewusstes“? Der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud machte diesen Begriff zu einem zentralen Bestandteil seiner Theorie und Praxis. Er hat ihn aber nicht erfunden. Mit der Verbreitung der Psychoanalyse wurde dieser Begriff praktisch Allgemeingut. In der Psychoanalyse wird mit „unbewusst“ das beschrieben, was uns nicht direkt durch Denken und Erinnern zugänglich ist. Hinzu kommen die psychischen Prozesse, die in uns ablaufen, die unser Fühlen, Denken und unser Handeln in entscheidendem Maße bestimmen.  

In vielen Beiträgen, die zu lesen sind, wird das Eisbergmodel zur Verdeutlichung herangezogen.  

Bei diesem Modell gilt 1/7 ist uns bewusst, 6/7werden durch unbewusste Motive, Erfahrungen usw. beeinflusst.  

Sigmund Freud hat das einmal so ausgedrückt: „das ICH ist nicht Herr im eigenen Hause“, sondern es wird von vielen unbewussten Regungen mitgesteuert. Das ist einerseits ein vielleicht unangenehmer Gedanke, eben nicht „Chef“ seiner selbst zu sein, andererseits kann dieser Gedanke auch entlastend sein, denn er erklärt, wieso uns unsere eigenen Handlungsmotive oft gar nicht so klar sind wie es oft scheint.  

Erkenne ich nun Unbewusstes wirklich und ernsthaft an, dann weiß auch ich, als Supervisorin, tatsächlich zu Beginn einer Beratung oft nicht, wohin diese die Supervisanden und mich führen wird. Manchmal erscheint dann eine Supervision wie ein Gang durch einen Urwald, in dem ein Pfad gesucht wird, gleichermaßen für Supervisand und Supervisorin. Das kommt möglicherweise wie ein Gemeinplatz daher, wird jedoch oft in der Tiefenwirkung unterschätzt, eben weil das Wort „unbewusst“ so nebenbei in viele Alltagsbereich Eingang gefunden hat. 

Eine Supervisandin bringt eine Frage aus ihrem Arbeitsalltag mit. Das muss keineswegs als großes Problem daherkommen, sondern gerade in den eher unscheinbaren Alltagsfragen steckt der größte Erkenntnisgewinn oder manchmal auch das größte Dynamit. Die Supervisandin schildert ihre Frage. Durch Nachfragen einholen der Gedanken anderer zu dieser Schilderung erhält die Supervisandin nun schon neue Perspektiven auf ihre Frage. Sie wird mit Gedanken konfrontiert, die ihr nicht bewusst waren. Manchmal fällt es dann den Supervisanden „wie Schuppen von den Augen“, welche bislang unbekannten Beweggründe eine Rolle spielen. In anderen Fällen lösen die Gedanken anderer zunächst größte Gegenwehr aus, weil die Erkenntnis daraus mit unangenehmen Gefühlen verbunden ist. In der weiteren Arbeit kann sich dann erhellen, woher diese unangenehmen Gefühle rühren, oft haben sie direkt etwas mit den Hintergründen der Alltagsarbeit zu tun.  

Ein kleines Alltagsbeispiel:  Herr Müller hat einen Termin in einer anderen Abteilung wahrzunehmen. In seinem Kalender steht die Uhrzeit mit 14 Uhr. Um 14:30 Uhr ruft ihn die Abteilung an mit der Frage, wo er denn nun bliebe. Herr Müller hatte sich gerade in eine verzwickte Frage vertieft und gar nicht auf Uhr geschaut. Herrn Müller ist das hochpeinlich, so etwas ist ihm noch nie passiert, gerade bei dieser Abteilung.   

In der Supervision hört eine Kollegin seine Aussage „gerade bei dieser Abteilung“. Ihr Nachspüren führt in der Supervision dazu, dieser Spur nachzugehen und Herrn Müller fällt auf, dass er mit dieser Abteilung auch etwas Unangenehmes besprechen muss, was ihm in anderen Fällen jedoch gar keine Probleme bereitet. Hier schon. So nach und nach schälen sich die Gedanken zu Kern hin ab, wie bei einer Zwiebel. Und Herr Müller erkennt, was ihn unbewusst gehindert hat, die Uhr im Blick zu behalten. 

So erleben die Supervisanden meist als Gewinn, neuen, oft vorerst befremdliche Gedanken weiter nachzugehen und eine Verbindung herstellen zu können. Dann ist die Supervision gelungen. 

Für heute hatten Sie hoffentlich interessante Lektüre und freuen sich auf den kommenden Beitrag zum nächsten Thema: 

Szenisches Verstehen als Zugangsmöglichkeit für unverständliche Situationen