Konflikte gehören zum Leben, wie weinen und lachen. Es gibt kein Leben ohne Konflikte. Wir sind geprägt durch unsere Biographie und Lebenserfahrung. Wie sind Ihre Selbstbeobachtungen ausgefallen? Ich bin gespannt auf Ihre Erfahrungen. Heute der 8. Teil in der Reihe darüber, wieso in Konflikten auf zwei Ebenen agiert wird: auf dem Tisch und unter dem Tisch – und was dort jeweils geschieht.
Der Tritt vors Schienbein … Beispiel 1
In einer komplizierten Verhandlung: Die zwei Kollegen Franz und Fritz haben die schwierige Aufgabe, mit einem Kunden über eine Beschwerde zu sprechen. Eigentlich läuft das Gespräch ganz gut. Die Missverständnisse lassen sich klären und es scheint so, als ließe sich das Gespräch mit dem Kunden gut beenden. Da fällt ein Stichwort und auf einmal dreht Fritz wieder auf und will mit dem Kunden noch einmal in den Ring steigen.
In diesem Moment tritt Franz Fritz feste vor das Schienbein. Fritz ist völlig verdattert und hält mehr vor Schreck als aus Einsicht den Mund. Franz führt das Gespräch zügig zu Ende und man verabschiedet sich. Fritz hatte in den wenigen Momenten kapiert, dass er gerade dabei war, den erreichten Erfolg mit dem schwierigen Kunden wieder zu kippen. Franz wusste sich nicht anders zu helfen, als zu dem Mittel aus der Kindheit zu greifen.
Der Tritt vors Schienbein … Beispiel 2
Vermutlich kennen viele die Situation aus ihrer Kinderzeit: Die Familie sitzt am Tisch. Familiengespräch und die Kinder fangen an zu streiten. Vater sagt: „Jetzt ist aber Ruhe hier am Tisch, wir wollen in Frieden zusammen essen.“ Die Kinder halten den Mund. Sie haben verstanden, der Vater will den Streit nicht und sie wissen auch, wenn sie weiter streiten, wird Vater ungemütlich. So geht die Auseinandersetzung unter dem Tisch weiter. Man tritt sich vor die Schienbeine und muss den Schmerz unterdrücken.
Was verbindet die Beispiele miteinander?
Wenn jemand sich sprachlich im Konfliktfall nicht mehr zu helfen weiß, wenn die Situation droht, aus dem Ruder zu laufen, dann erscheint die Aktion unter dem Tisch als letzte Lösung. Franz tritt Fritz, um die Situation zu retten. In dem Beispiel am Familientisch passen sich die beiden Kinder äußerlich an: Sie sind still, führen jedoch den Streit mit anderen Mitteln unter dem Tisch weiter.
Das Verbindende an beiden Bildern ist die Verlagerung des Konflikts auf eine andere Ebene. Ganz real und im übertragenen Sinne auch.
Was unterscheidet die beiden Beispiele?
Im ersten Beispiel hilft die Verlagerung des Konfliktes auf eine andere Ebene, den tatsächlichen Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen. Das Gespräch mit dem Kunden kann einigermaßen gut beendet werden. Franz hat Fritz ein starkes Signal gegeben – das hätte auch nach hinten losgehen können. Fritz hätte sich empören können: „Wieso trittst du mir jetzt vors Bein“? Es ist Franz geglückt, Fritz‘ Aufmerksamkeit auf eine andere Ebene zu lenken und hat damit eine neue Eskalation verhindern können. Für den eigentlichen Konflikt und dessen Lösung ein Glücksfall.
Im zweiten Beispiel dient die Verlagerung des Konflikts, ihn weiterzuführen – eben unter dem Tisch.
Das sind die Unterschiede. Was heißt das für die berufliche Praxis?
1. Verlagerung eines Konfliktes auf eine andere Ebene kann Eskalation verhindern. Für Sie als Leitung bedeutet das, Sie überlegen sich gut, an welchen Stellen Sie in ein Konfliktgeschehen eingreifen, den Konflikt wo andershin lenken, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Das Risiko darin ist, am Ende sind die Mitarbeitenden auf Sie sauer. Die Chance ist, zwei Streithähne oder -hennen verheddern sich nicht zu sehr.
In einem Team habe einmal erlebt, dass in einer heißen Konfliktphase, in der es noch einmal von vorne anfangen sollte, die Leitung „unabsichtlich“ die Kaffeetasse umgeworfen hat. Alle kümmerten sich darum, die Kaffeepfütze zu beseitigen, damit war die Luft aus der Streitschleife raus und die Leitung ging zum nächsten Punkt über.
Tipp Nummer eins
Jetzt können Sie nicht immer die Kaffeetasse umwerfen, Sie können z.B. sagen: darüber sprechen wir ein anderes Mal weiter; unsere Tagesordnung ist lang, wir haben schon einiges geklärt, jetzt machen wir hier einen Punkt. Also Sie begrenzen, wo Sie merken, ein Streit führt nicht zur Klärung, sondern zu weiterer Ausweitung. Leitungsaufgabe ist: Grenzen setzten. Kann Sein, dass die Streitparteien dann unter dem Tisch weitermachen. Was dann?
2. Gut ist, wenn Sie Ihr Team in Konflikten aufmerksam beobachten. Sie versuchen zu verstehen, um was es „eigentlich“ geht. Will jemand lediglich „Recht haben“, werden alte Familiengeschichten wiederbelebt? Dann greifen Sie ein und begrenzen, auch wenn der Streit „unter dem Tisch weitergeht“, also in versteckten Anspielungen, Augen verdrehen usw.
Tipp Nummer zwei
Auch hier ist Leitungsaufgabe Grenzen zu setzten. Sie ignorieren verbales und non-verbales Verhalten, Sie bleiben bei der Sache.
Sie nehmen sich denjenigen später beiseite und geben Feedback, dass Ihnen das Verhalten sehr wohl aufgefallen ist, und Sie eine Verhaltensveränderung erwarten, um destruktive Stimmung zu verhindern. Es geht um die Arbeit und die Kollegen müssen sich nicht lieb haben.
Denksportaufgabe #8
Und hier die Denksportaufgabe für die kommenden vierzehn Tage. Für Sie als Teamleitung sind die spannenden Fragen:
- Wie reagieren Sie auf „Tritte unter dem Tisch“?
- Welche Handlungsmöglichkeiten fallen Ihnen ein?
Schauen Sie sich selbst doch einmal über die Schulter – wie Sie reagieren und halten Sie Ihre Selbst-Beobachtungen fest.
Mehr zur Frage „Kennen Sie die Konflikteskalationstreppe?“ lesen Sie im nächsten Blogbeitrag. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute und vor allem: interessante Selbst-Beobachtungen.
Mit konstruktiven Grüßen aus Wuppertal
Ihre Sabine Wengelski-Strock
Weitere Beiträge der Reihe:
- K wie Konflikt
- Warum lieben manche die Harmonie und andere das Kampfgetümmel?
- Wie frei sind wir eigentlich in Konfliktsituationen?
- Wissen Sie eigentlich, wofür Konflikte gut sind?
- In welchen Situationen geraten wir in Konflikt mit uns selbst?
- Wieso geraten wir immer wieder mit anderen Menschen aneinander?
- Um was geht es eigentlich im Konfliktfall?