In welchen Situationen geraten wir in Konflikt mit uns selbst?

Konflikte gehören zum Leben, wie weinen und lachen. Es gibt kein Leben ohne Konflikte. Wir sind geprägt durch unsere Biographie und Lebenserfahrung. Wie sind Ihre Selbstbeobachtungen ausgefallen? Ich bin gespannt auf Ihre Erfahrungen. Heute der 5. Teil in der Reihe darüber, wieso wir in Konflikt mit uns selbst kommen.

Da sind zwei Seelen in meiner Brust

Diesen Ausspruch kennen Sie vermutlich auch. Und er trifft den Nagel auf den Kopf: Tom arbeitet gerade intensiv an einem Text, den er bald fertig gestellt haben muss. Da kommt seine engagierteste Mitarbeiterin Marion zu ihm ins Büro und will ihm etwas Wichtiges erzählen. Was geschieht dann in Tom?

  • Er denkt: „Jetzt mich bloß nicht stören, sonst verliere ich den guten Gedanken, den ich gerade habe und dann bin ich wieder raus …“ und
  • Er denkt auch: „Ach Mensch, das ist jetzt eine willkommene Abwechslung, und ich will Marion jetzt auch keinen Korb geben, sie arbeitet immer so toll mit.“

Tja, was passiert gerade? Tom hat es gerade mit zwei unterschiedlichen Erwartungen zu tun, die er an sich selbst stellt. Die eine Erwartung heißt: Schreib jetzt den Text fertig und lass Dich nicht ablenken; die andere Erwartung heißt: Erfülle den Wunsch der Mitarbeiterin und habe ein Ohr für sie.

Zugespitzt – denk an Dich oder denk an den anderen.

Diese beiden Erwartungen, die Tom an sich stellt, speisen sich aus sehr vielen unterschiedlichen Aspekten. Ich will hier nur einige aufzählen:

  • Tom denkt von sich: „Ich lasse mich gerne ablenken“ und später ärgert er sich darüber.
  • Es fällt ihm oft schwer, einen Text gut zu formulieren und ist immer froh, wenn es gerade gut läuft.
  • Diese Arbeit mag Tom sowieso gar nicht gerne.
  • Er denkt: „Ach, ich schicke so oft meine guten Leute wieder weg und habe keine Zeit für sie.“
  • Für gute Teamarbeit ist es extrem wichtig, immer ein offenes Ohr zu haben.
  • Er denkt: „Ich bin kein guter Chef, wenn ich Marion jetzt wegschicke.“

Unterschiedliche Erwartungen an sich selbst lösen Konflikte aus.

Diese Situationen gibt es zu Hauf in unterschiedlichster Ausprägung. In der Fachsprache werden sie intra-personeller Konflikt genannt. Es spielt sich im Inneren des Individuums ab. Die unterschiedlichen, sich oft widersprechenden Erwartungen an sich selbst, lösen diese inneren Konflikte aus. Diese inneren Konflikte laden zu ein, mit sich selbst zu diskutieren und die Lösung in sich selbst zu suchen.

Bei dieser inneren Diskussion geht es Menschen oft so, wie dem Esel zwischen den beiden Heuhaufen, weil er sich nicht entscheiden kann, verhungert er.

Der Esel zwischen den beiden Heuhaufen kann nicht beide Haufen gleichzeitig fressen – er kann diese höchstens hintereinander verspeisen. Nochmal zu Tom – auch er kann sich nur so entscheiden: Grenzt er sich gegenüber Marion auf die Gefahr hin ab, dass sie enttäuscht weg geht und er ein schlechtes Gewissen bekommt – oder enttäuscht er sich selbst, weil er mit dem Text nicht so weiterarbeitet wie geplant und ärgert sich dann über sich. Egal wie die Entscheidung ausfällt, Tom wird am Ende das Gefühl haben, er hat sich falsch entschieden.

Das Beispiel zeigt, Tom kann nicht beiden inneren Seelen gleichzeitig gerecht werden, obwohl Menschen genau das oft möchten. Wir wollen anderen nicht wehtun und sehen dann nicht, dass wir uns selbst dabei weh tun. Wie lässt sich diese Konfliktlage lösen?

Was zu tun ist: Veröffentlichen Sie Ihre innere Diskussion.

Das hört sich jetzt vielleicht merkwürdig an. Diskutieren Sie laut mit sich. Lassen Sie Ihr Gegenüber daran teilhaben, was Ihnen gerade durch den Kopf geht. Tom könnte sagen: „Marion, ich will diesen Text fertig schreiben und ich will Dir gern zuhören“. Wenn Tom sich sprechen hört, kommt er vielleicht schneller auf die Idee, Marion zu bitten, in einer halben Stunde wieder zu kommen. Oder er hat Glück, wenn Marion sagt: „Na, dann komme ich später noch einmal wieder.“ Oder er entscheidet, jetzt erst mit Marion zu sprechen und später weiter zu schreiben.

Das Aussprechen der inneren Diskussion schult darin, die unterschiedlichen Erwartungen überhaupt zu erkennen; wahrzunehmen, welche inneren Erwartungen stehen überhaupt in Konflikt zu einander. Dann wird es leichter, in dem Wirrwarr eine Entscheidung zu treffen. Das geht nicht immer und überall. Es gibt viele Situationen, da können Sie das gut ausprobieren. Denn oft sind die unterschiedlichen Erwartungen an sich selbst gar nicht klar und bewusst. Erst das Wahrnehmen und die Anerkennung dessen, dass es total normal ist, unterschiedliche Erwartungen an sich selbst zu haben, machen den Zugang zur inneren Diskussion leichter und ebnen den Weg zur Veröffentlichung.

Kleiner Tipp

Jetzt kommt wieder der Anschluss an vorhergehende Blogartikel in dieser Reihe. In der Frage „Was sind denn eigentlich die unterschiedlichen Erwartungen an mich selbst?“ bekommen Sie eine Ahnung, wie sehr wir durch unsere Erfahrungen geprägt sind, ohne es zu merken. Schauen Sie doch einmal, wenn Sie wieder das Gefühl haben, jetzt habe ich alles falsch gemacht, was das für eine Situation war und welche Erwartungen Sie ausgesprochen und unausgesprochen innerlich gehört haben.

Diese Selbstreflexion hilft Ihnen, im inneren Konflikt mehr Klarheit zu gewinnen.

Denksportaufgabe #5

Und hier die Denksportaufgabe für die kommenden vierzehn Tage. Für Sie als Teamleitung sind die spannenden Fragen:

  • Wann geraten Sie in innere Konflikte?
  • Wo können Sie ihre innere Diskussion veröffentlichen?
  • Was würde passieren, wenn Sie das tatsächlich tun?

Schauen Sie sich selbst doch einmal über die Schulter – wie Sie reagieren und halten Sie Ihre Selbst-Beobachtungen fest. Mehr zur Frage „Wann geraten wir immer wieder mit anderen Menschen aneinander?“ lesen Sie im nächsten Blogbeitrag. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute und vor allem: interessante Selbst-Beobachtungen.

Mit konstruktiven Grüßen aus Wuppertal
Ihre Sabine Wengelski-Strock

 

Weitere Beiträge der Reihe:

  1. K wie Konflikt
  2. Warum lieben manche die Harmonie und andere das Kampfgetümmel?
  3. Wie frei sind wir eigentlich in Konfliktsituationen?